Bericht und Dokumentation zur INTR°A-Tagung im Oktober 2025: Mitgefühl ohne Grenzen – Der Beitrag des Dalai Lama zu Dialog und Verständigung
Der 14. Dalai Lama ist einer der weltweit bekanntesten Vertreter des Buddhismus. Er hat das Gesicht des Buddhismus im Westen stark geprägt. 1989 wurde ihm für sein gewaltfreies Engagement für sein Heimatland Tibet der Friedensnobelpreis verliehen.
Der Dalai Lama ist auch einer der wichtigsten Pioniere des christlich-buddhistischen Dialogs und des interreligiösen Dialogs insgesamt. Anlässlich des 90. Geburtstags des Dalai Lama in diesem Jahr haben wir uns deshalb auf der diesjährigen INTR°A-Tagung – zusammen mit unseren Kooperationspartnern: Melanchthon-Akademie/Köln, dem Ev. Erwachsenen- und Familienbildungswerk, dem oikos-Institut der Ev. Kirche von Westfalen und der Karl-Rahner-Akademie/Köln – mit dem dialogischen Erbe des Dali Lama beschäftigt: Welche besonderen Schwerpunkte und Akzente hat der Dalai Lama in seinem Einsatz für interreligiösen Dialog und Verständigung gesetzt? Was können Dialogikerinnen und Dialogiker anderer Traditionen von ihm lernen? Und welche Impulse für die Praxis in Bildung und Schule kann der Dalai Lama geben?
„Ethik ist wichtiger als Religion“ lautet eine provozierende These des Dalai Lama. Die renommierte Expertin und praktizierende Buddhistin Dr. Carola Roloff stellte diese These in den Mittelpunkt ihres Einführungsvortrags zu Leben und Werk des Dalai Lama. Dabei machte sie deutlich, dass der Dalai Lama Ethik und Religion nicht gegeneinander ausspielen wolle, sehr wohl aber die größere Bedeutung eines qualifizierten ethischen Handelns betone. Die Aufzeichnung des Vortrags von C. Roloff s. hier . Als Grundlage für die Diskussion fasste die Referentin ihren Vortrag in einigen Thesen zusammen (die Thesen s. hier), die dann von zwei Vertretern aus anderen religiösen Traditionen kommentiert wurden. Der christliche Religionstheologe und Buddhismus-Experte Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel aus Münster hob hervor, dass der Dalai Lama mit seiner zugespitzen These offenbar nicht Ethik im Allgemeinen höher ansetzen wolle, sondern eine bestimmte Ethik des Mitgefühls. Diese Ethik sei dann wiederum nicht unbedingt von vorneherein universal gültig, sondern stark von der buddhistischen Tradition geprägt. Weiterhin betonte Schmidt-Leukel, dass in der Kooperation zwischen den Religionen auf das Gespräch zu spezifisch religiösen Anschauungen nicht verzichtet werden könne, weil diese in den konkreten Einschätzungen von Situationen und dementsprechenden Handlungsanforderungen eine wichtige Rolle spielten (Müssen sogenannte Irrlehrer u.U. bis aufs Blut bekämpft werden, weil sie das ewige Heil der Gläubigen gefährden?). Der zweite Kommentator, Abdulkerim Senel, ebenfalls aus Münster, stellte als zentrale These seines Kommentars in muslimischer Perspektive heraus, dass es dem Dalai Lama mit seiner provokanten These offenbar nicht um eine Entgegensetzung von Religion und Ethik gehe, sondern um ein bestimmtes, nicht sektiererisches Verständnis von Religion. In diesem Verständnis von Religion stehe die spirituelle Grundlegung und Förderung eines wirklich humanen Handelns, das eben von Mitgefühl und Verantwortung für andere und die Umwelt geprägt sei, im Zentrum. Eine vollständige Aufzeichnung der Kommentare und der anschließenden Diskussion finden Sie hier .
Am Anfang der zweiten Diskussionsrunde zum Dialogverständnis des Dalai Lama stand ein Thesenpapier zur Sichtweise des Dalai Lama, das Achim Riggert (ev. Theologe, Vors. INTR°A) verfasst hatte und kurz vorstellte (das Thesenpapier s. hier ). Als erster Kommentator unterschied der katholische Theologe und Dialogiker Dr. Werner Höbsch u.a. zwischen Verhandlung und Dialog, in dem das In-Beziehung-Treten im Zentrum stände. Weiterhin hob er die zentrale Bedeutung von Interesse im Dialog hervor, das Verbundenheit und Achtsamkeit in sich schließe. Ebenso betonte er, dass Brücken zwischen den Religionen vor allem in den alltäglichen Erfahrungen von Freud und Leid zu finden seien. Als wichtige Perspektive hob er schließlich die auch dem Dalai Lama nahestehende Vorstellung von einer „interreligiösen Gefährtenschaft“ (Maritain) hervor. Der zweite Kommentator, Dr. Hans-Christoph Goßmann (Ev. Theologe und PD, Vorstand INTR°A), stimmte weitgehend zu und stellte zudem heraus, dass es im Dialog um das Gespräch zwischen einzelnen Menschen (und nicht vermeintlichen Repräsentanten einer Religion) gehe. Ebenso hob er die Bedeutung von Unterschieden als Schatz für die den Dialog und als Chance zu gegenseitiger Bereicherung hervor. Hinsichtlich der Formen des Dialogs wies er ergänzend auf die Bedeutung eines „Dialogs des Alltags“ und eines spirituellen Dialogs hin. Eine vollständige Aufzeichnung der Kommentare und der anschließenden Diskussion in diesem zweiten Block finden Sie hier.
Die dritte Diskussionsrunde zur Sozialethik des Dalai Lama startete mit einem Thesenpapier von Dr. Mathias Schneider (ev. Theologe, Vorstand INTR°A), das von Saida Aderras (Dozentin eEFB, Vorstand INTR°A) eingebracht wurde. Inhaltlich stellte das Thesenpapier das Plädoyer des Dalai Lama für eine notwendige spirituelle Grundlegung von ethischem Handeln und für konsequente Gewaltlosigkeit ins Zentrum (Das Thesenpapier s. hier). Achim Riggert hob in seinem Kommentar einerseits die zahlreichen Überschneidungen zwischen der Position des Dalai Lama und der ev.-christlichen Ethik hervor (Verankerung in einer Ethik der Liebe und einem Ethos des Verzichts auf Gewalt). Andererseits wies er ebenso auf Unterschiede hin, die vor allem darin beständen, dass die evangelische Tradition – im Gefolge Luthers – stärker zwischen dem Bereich des Innerreligiösen Lebens und der Welt unterscheide. Entsprechend dieser Unterscheidung werde in der evangelisch-lutherischen Tradition beiden Bereichen auch stärker unterschiedliche ethische Orientierungen zugewiesen – zum Beispiel dem weltlichen Bereich deutlicher und ausdrücklicher in bestimmten Fällen auch die notwendige Anwendung von Gewalt. Dr. Marien van den Boom (Ev. Theologe, Vorstand INTR°A) wies ergänzend und in Anknüpfung an die These des Dalai Lama („Ethik ist wichtiger als Religion“) auf die ähnliche These des Religionswissenschaftlers Rudolf Otto hin, dass die religiöse Erfahrung des Heiligen der Kern von Religion sei – nicht Moral. Ebenso plädierte van den Boom – in Übereinstimmung mit dem Dalai Lama und mit Hinweis auf aktuelle Bezüge – dafür, Religion aus Kriegen und ihrer Begründung herauszuhalten. Werner Heidenreich (Buddhist, Dialogiker) erinnerte in seinem Kommentar daran, dass der Dalai Lama durchaus eine gewisse Eigenständigkeit des politischen Bereichs – im Unterschied zu seiner Mission als religiöser Botschafter – anerkannt habe, vor allem indem er vor einiger Zeit die politische Führung Tibets in andere Hände gelegt habe. Ebenso betonte er, dass der Dalai Lama nicht einfach allgemein und vage für Frieden und Gewaltlosigkeit plädiere, sondern sehr konkrete Methoden zur Schaffung von mehr Friedfertigkeit und gewaltloser Konfliktlösung benenne und fördere (vergleichbar mit Friedensforschern wie Johann Galtung).
In einer Schlussrunde mit allen Mitwirkenden wurde noch ein kurzer Blick auf die Impulse des Dalai Lama für praktische Bezüge, zum Beispiel im Religionsunterricht geworfen. Hier wurde u.a. daran erinnert, dass der Dalai Lama die wichtige Anregung gegeben habe, in der Schule mehr Wert auf die Ausbildung von „soft skills“ (Herzensbildung, Meditation und Mitgefühl) zu legen. Eine Aufzeichnung der gesamten dritten Gesprächsrunde und der Schlussrunde finden Sie hier.
Nach der Schlussrunde wurde derdiesjährige Projektpreis der Interreligiösen Arbeitsstelle verliehen. Einen ausführlichen Bericht dazu s. auch auf dieser Homepage hier.
Summa summarum war es eine dichte, inhaltsreiche Tagung, die viele wichtige Anregungen und Impulse des Dalai Lama für Dialog und Verständigung sowie ethisch verantwortliches Handeln herausgearbeitet hat.
Für INTR°A – Achim Riggert




