Ohne Buddha wäre ich kein Christ

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Rezension zu Paul F. Knitter: Ohne Buddha wäre ich kein Christ”, 2012 (amerikan. Originalausgabe: „Without Buddha I could not be Christian”, 2009)

Paul F. Knitter bringt das entscheidende Anliegen seines Buches selbst präzise auf den Punkt, indem er wörtlich sagt: „Ich möchte so sorgfältig und so klar wie möglich darlegen, wie mein Gespräch mit dem Buddhismus mich dazu befähigt hat, noch einmal einen anderen, kreativeren und befriedigenderen Blick auf meinen christlichen Glauben zu werfen. Ich möchte so einleuchtend wie möglich darlegen, wie mein Versuch, die buddhistischen Lehren und Bräuche zu verstehen, es mir möglich gemacht hat, die christlichen Lehren von Gott (Kapitel 1 -3), vom Leben nach dem Tod (Kapitel 4), von Christus als eingeborenen Sohn Gottes und Erlöser (Kapitel 5), vom Gebet und vom Gottesdienst (Kapitel 6) und auch die Versuche, in diese Welt mehr Frieden und Gerechtigkeit des Gottesreiches zu bringen (Kapitel 7), zu überprüfen, neu zu deuten und erneut zu bejahen (S.13 dt. A.).

Diese programmatisch Aussage macht deutlich: Es geht Knitter in diesem Buch – wie er selbst betont – nicht um strittige Detailfragen kirchlicher Praxis, sondern um den Kern, um die zentralen Traditionen des christlichen Glaubens: Er will stellvertretend für viele moderne Zeitgenossen und Christenmenschen seine Probleme und Schwierigkeiten mit diesen Traditionen zum Thema machen, um sodann aufzuzeigen, wie die jahrelange Auseinandersetzung mit dem Buddhismus ihm geholfen hat und hilft, diese Lehren zu Gott, Jesus Christus, Erlösung, Tod und Auferstehung usw. neu und vertieft anzueignen, ja überhaupt zu begreifen.  Gerade dieses spannende Kernanliegen macht dieses Buch nicht zuletzt zu einem ausgesprochen theologischen Buch, das zugleich eine indirekte Einführung in Grundzüge des buddhistischen Denkens gibt.

Im Einzelnen geht Knitter jeweils in einem Dreischritt vor: In einem ersten Schritt entfaltet er zunächst die Fragen, die sich bei ihm hinsichtlich der jeweiligen christlichen Lehre ergeben haben. In einem zweiten Teil beschreibt er sodann seine Versuche, die thematisch parallelen Aussagen im Buddhismus zu verstehen, um schließlich in einem dritten Schritt darzulegen, was er seiner Meinung nach von der buddhistischen Sichtweise für sein eigenes Verständnis des christlichen Glaubens lernen kann. Knitter bezieht sich dabei auf den hermeneutischen Ansatz des amerikanischen Theologen John Dunne, der als einer der ersten ein solches  „Hinübergehen“ in eine andere religiöse Tradition mit anschließender Rückkehr in die eigene Glaubenswelt vorgeschlagen hat.

In den ersten Kapiteln seines Buches steigt Knitter sofort mit einer der zentralen Fragen des christlichen Glaubens ein: der Frage nach Gott. Hier problematisiert er insbesondere drei traditionell-christliche Bilder von Gott: Das Bild von Gott als „transzendenter Anderer“ (1), als „personaler“ Anderer (2) und als „bekannter Anderer“ (3) (S.21 dt. A.). Exemplarisch seien hier kurz seine Ausführungen zu (1) wiedergegeben: Knitter setzt ein mit der Frage, wie sich das Bild von Gott als dem „ganz anderen“, der keines anderen bedarf und in sich bereits vollkommen ist, mit dem Verständnis von Gott als Liebe vereinbaren lässt: Besteht hier nicht ein unauflöslicher Widerspruch? Dieser Widerspruch zeigt sich nach Knitter auch im traditionellen christlichen Schöpfungsverständnis: Gott und Schöpfung werden hier klar voneinander unterschieden, ja getrennt. Aber wie ist dies mit der zentralen Aussage des christlichen Glaubens, dass Gott Mensch geworden ist, zu vereinbaren? Knitter identifiziert als zentrales Problem in diesem Zusammenhang letztlich die christliche Tradition des dualistischen Denkens, die notwendige Unterscheidungen in Richtung von Trennung übertreibe und Dinge auseinanderreiße, die in der Tiefe bleibend zusammengehören. Auf diesem Hintergrund wechselt er hinüber in die buddhistische Tradition und macht hier erstaunliche Entdeckungen: Hier steht nach Knitter nicht das Reden über Gott im Vordergrund, sondern eine elementare Erfahrung: die Erfahrung der Verbundenheit, des Interseins zwischen allem Leben. Aus dieser buddhistischen Denkweise gewinnt Knitter schließlich im dritten Schritt entscheidende Anstöße für das christliche Gottesverständnis: Es erschließt sich ihm zunächst in neuer Weise, dass jegliches religiöse Erleben und Reden von Gott in einer persönlichen Erfahrung wurzeln müsse – wie es bereits die christlichen Mystiker und die zentralen Theologen des Neuen Testamentes (Paulus und Johannes) gewusst hätten. Ebenso eröffnet sich ihm ein neuer Zugang zur Bestimmung des Wesens Gottes als Liebe (1. Joh 4.8), das er nunmehr im Anschluss an buddhistische Terminologie besser als „Intersein“ und grundlegende Bezogenheit sehen könne.

In ähnlicher Weise geht Knitter in der Mitte seines Buches das Herzstück des christlichen Glaubens, die Christologie, an: Ausgehend von Fragen nach der tieferen Bedeutung der Sohnschaft, des Erlösungswerkes und der Auferstehung Jesu, vertieft Knitter sich in die Überlieferungen zu Leben und Lehre des Buddha, in denen er grundlegende Gemeinsamkeiten, aber auch gravierende Unterschiede zum Leben und zur Verkündigung Jesu findet. Dabei erörtert er insbesondere die Spannung zwischen einem Verständnis Buddhas und Jesu als Lehrer und Erlöser und versucht der jeweiligen Einzigartigkeit von beiden genauer auf die Spur zu kommen.  Dies führt ihn schließlich zu dem Ergebnis, dass sowohl Buddha als auch Jesus eine besondere, unwiederholbare und einzigartige Offenbarung Gottes repräsentieren, wobei bei Jesus der spezifische Akzent auf der Offenbarung Gottes als Anwalt und Fürsprecher der Armen liege. Dieser spezifische Akzent des Lebens und der Lehre Jesu erschließt sich für Knitter in seiner ganzen Tragweite allererst durch den Vergleich mit Buddha, weshalb er darin eine der wichtigsten, gewinnbringenden Früchte dieses Vergleichs sieht.

In den letzten beiden Kapiteln von Knitters Buch wird es praktischer: Hier geht es um die Frage, was Christen von der Meditationspraxis der Buddhisten und ihrer ethischen Grundhaltung lernen können. Die erneut sehr ausführlichen Erörterungen zu diesen Themen können hier nicht mehr im einzelnen wiedergegeben werden; einige Schlaglichter müssen genügen: In dem Kapitel zu Gebet und Meditation dreht sich im Grunde alles um die Kraft und Macht der Stille, die nach Knitter im Buddhismus viel deutlicher zum Tragen komme als in der christlichen Tradition. Die buddhistische Tradition biete hier auch ausgefeiltere Methoden, von denen Christen lernen bzw. manches in ihre eigene Praxis integrieren könnten. Im letzten Kapitel geht es schließlich insbesondere um die Spannung zwischen dem Auftrag Frieden in der Welt zu stiften, wie es insbesondere die christliche Tradition herausgestellt hat, und selber Frieden zu sein, wie es nach Knitter insbesondere die buddhistische Tradition betont. Knitter zeigt hier wiederum sehr eindringlich, was und auf welche Weise beide Seiten voneinander lernen können. –

Insgesamt stellt Knitters Buch einen beeindruckenden Beitrag zu einer interreligiösen Theologie dar, dessen Lektüre jedem zu empfehlen ist, der sich um ein tieferes Verständnis des christlichen Glaubens in der heutigen Zeit bemüht. Knitter zeigt überzeugend auf, wie fruchtbar eine vergleichende Betrachtung mit einer anderen religiösen Tradition wie dem Buddhismus sein kann, um den eigenen christlichen Glauben tiefer und besser zu verstehen. Manche Aussagen in Knitters Buch bedürfen sicherlich noch einer genaueren methodischen und systematisch-theologischen Reflexion und Überprüfung, aber das tut dem Verdienst des Buches keinen Abbruch: Es will vor allem Denkanstöße geben und Richtungen aufzeigen, in die weitergedacht werden soll, zumal im Stil eines mehr persönlichen Werkstattberichts. Und dies ist sehr wertvoll und hilfreich, wie auch die guten Verkaufszahlen des Buches sowohl in den USA als auch in Deutschland zeigen.

Achim Riggert