Sind Sie Hausmeister?

Eine stereotype Wahrnehmung in der deutschen Gesellschaft

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Nein!?

Es war das erste Jahr, in dem ich anfing zu unterrichten. An einem Sommertag machte ich mit meinen Schülern einen Ausflug zu einem bewaldeten Ort in der Nähe der Schule, der ideal zum Spielen war. Ich versuchte ihnen, ein Spiel beizubringen, da sie dies nicht kannten. Plötzlich rutschte ich aus und fiel auf mein rechtes Handgelenk. Mit einer Frakturverletzung wurde ich sofort ins Hagener Krankenhaus gebracht, wo ich operiert wurde. Als ich zwei oder drei Wochen später zur Kontrolle ging, kam es zu einem interessanten Gespräch mit der Frau an der Rezeption. Sie fragte nach meinem Beruf. Ich antwortete, ich sei an einer Schule tätig. Daraufhin entgegnete sie: „Sind Sie dort Hausmeister?“ Natürlich sagte ich darauf spontan und überrascht: „Wie kommen Sie darauf? Kann ich nicht Lehrer sein?“

Jahre vergingen. Das Gleiche widerfuhr mir in Hamm in einer Kirche, in der ich einen Vortrag halten sollte. Da ich etwas früher ankam, zeigte mir der Pfarrer das Gebäude. Von einer Empore sahen wir, dass unten im Kirchenschiff gerade ein Chor probte. Auf Wunsch des Pfarrers gingen wir hinunter und er stellte mich dem Chorleiter mit Namen vor. Dieser fragte dann interessiert, ob ich der neue Hausmeister hier sei. Über diese mir bereits bekannte Frage musste ich einfach lachen. Dem Pfarrer war dies peinlich und er griff sofort ein: „Nein, nein, er wird hier heute Abend einen Vortrag halten.“ Ich wollte dennoch reagieren und fragte: „Warum? Sehe ich wie ein Hausmeister aus?“ Und eine Weile später fragte ich dann den Pfarrer sichtlich amüsiert: „O Gott, sehe ich wirklich wie ein Hausmeister aus?“

Ein drittes Mal hörte ich diese Frage an einer Schule von einem Grundschulkind, als ich an dem Schulhof auf dem Weg zu meiner Schule vorbeikam. Direkt danach dachte ich darüber nach, was mich zu einem Hausmeister machte. Mein Aussehen? Meine nicht akzentfreie Aussprache oder mein Name? Sicher ist, dass eines davon Anlass für diese Reaktionen war.

Und vor kurzem rief mich ein Mitarbeiter aus dem Gesundheitsamt Hamm an. Es ging um das Ergebnis meiner Corona-Testung. Er wusste schon, dass ich an einer Schule tätig bin. Und plötzlich fragte er mich: „Sind Sie Hausmeister?“ Ich entgegnete sofort: „Wie sind Sie darauf gekommen? Ist es meine Aussprache oder mein Name, seien Sie ehrlich, bitte!“ Schließlich sah er mich nicht; mein Aussehen konnte es also nicht sein. Er antwortete verunsichert und schüchtern: „Nein, nein, nicht wegen der Aussprache, einfach so.“

Zugeschrieben wurde mir nicht nur die Rolle des Hausmeisters, sondern auch der Beruf des Bergmanns. Zum Beispiel bei meinem Hautarzt. Ich weiß nicht, worüber wir uns unterhielten, plötzlich fragte er mich: „Sind Sie Bergmann?“ Ungewollt brach ich in Gelächter aus und entgegnete: „Mein Vater war Bergmann!“ Nachdem er erfahren hatte, was ich von Beruf bin, entschuldigte er sich beschämt und sagte: „Mein Gott, was habe ich gemacht? Verzeihung!“

Das ist nur ein Bruchteil dessen, was ich in dieser Richtung erlebt habe. Mein spontanes Lachen in diesen Situationen deutet auf eine humoristische Seite, die zweifellos vorhanden ist. Andererseits bleibt das Lachen aber oft auch im Halse stecken. Vor Jahren hatte ich an meiner Schule in der großen Pause für anwesende Kolleginnen und Kollegen die besondere Speise Aschure zubereitet, um die Interkulturalität etwas hervorzuheben. Über die Speise und deren Sinn hatte ich ein Infoblatt geschrieben und einen Tag zuvor in die Fächer des Kollegiums verteilt. Eine Kollegin, die mit mir jahrelang zusammengearbeitet hatte, sagte mir, nachdem sie den Text von mir gelesen hatte: „Ich wusste nicht, dass du ein friedvoller Mensch bist!“ Ganz spontan reagierte ich: „Was hast du denn bis jetzt von mir gehalten?“

Eine andere Kollegin wollte mir beibringen, wie man sich morgens begrüßt. Ich kam ins Lehrerzimmer und sagte zu ihr „Morgen“, so wie die meisten Kollegen grüßen. Aber sie meinte, mich korrigieren zu müssen beziehungsweise zu dürfen und sagte: „Das ist falsch. In Deutschland sagt man nicht „Morgen“, sondern „Guten Morgen!“ Die Betonung lag dabei auf „in Deutschland“. Meine Entgegnung: „Wie kommst du darauf! Fast alle Kollegen sagen doch nur „Morgen.“ ließ sie nicht gelten und beharrte: „Ja, das ist aber falsch!“

Diese Beispiele könnte ich um viele ergänzen. Es sind Erlebnisse, die mich spüren lassen, dass ich eigentlich nicht hierher gehöre, zum Beispiel auch Sätze wie: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Dieser Satz mag durchaus anerkennend gemeint sein, wirkt aber eher verletzend, weil er das Ausländersein betont.

Das Bild des Ausländers, der als „Gastarbeiter“ (oder neuerdings als „Geflüchteter“) vor über 50 Jahren nach Deutschland gekommen ist, ist in der Wahrnehmung vieler Menschen sehr stereotyp und hat sich seit Jahrzehnten nicht gewandelt. „Gastarbeiter“ waren die ersten „Ausländer“, die nach Deutschland kamen. Sie arbeiteten in der Tat als Arbeiter und nicht als Angestellte oder gar als Lehrer. Diese berufliche Zuordnung ist im Unterbewusstsein der Deutschen offenbar immer noch tief verankert. Wenn das Haar schwarz ist und das Aussehen „südländisch“, spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Schule, eine Kirche oder eine staatliche Institution handelt, es kann nur der Hausmeister sein! (Womit natürlich nichts Abwertendes über Hausmeister gesagt sein soll.)

Das „Hausmeister-Image“ ist offenbar etwas, was der türkischstämmigen Bevölkerung anhaftet und sich nur schwer abschütteln lässt.

Viele junge Menschen türkischer bzw. muslimischer Herkunft, die schon in zweiter oder dritter Generation hier leben, sind frustriert und haben das Gefühl, nie wirklich dazu zu gehören, egal was sie tun. Denn die deutsche Identität definiert sich anscheinend immer noch als „Wir“ und die „Anderen“. Und das wird natürlich als eine arrogante Haltung wahrgenommen, die oft so rüberkommt: „Wir sind kultiviert, zivilisiert, freiheitlich, demokratisch, in jeder Hinsicht entwickelt, aber ihr seid nicht so wie wir. Daher müsst ihr euch bei uns integrieren.“ Eine so verstandene Integration wäre eine reine Assimilation. Diese als diskriminierend und arrogant empfundene Haltung fördert beim Gegenüber eine antideutsche, oppositionelle Haltung, von der die türkische bzw. muslimische Identität zurzeit geprägt ist.

Natürlich hat jede Kultur prägende Merkmale, die aber nicht als positiv oder negativ eingeordnet werden dürfen und kein Anlass sein können, eine Kultur als überlegen zu bewerten. Aber gerade diese bewertende Denkweise hat sich bei sehr vielen Deutschen etabliert. Das Denken in Kategorien wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Emanzipation und Freiheit wird Ausländern oft abgesprochen. Diese Vorurteile haben sich verstärkt, seit bekannt ist, dass viele türkischstämmige Bürger eher nationalistisch eingestellt sind und die politische Entwicklung in der Türkei nicht nur gutheißen, sondern aktiv unterstützt haben.

Immer wieder ist es so, dass Einzelfälle verallgemeinert werden. Negative Eigenschaften schreibt man lieber dem Anderssein, dem Anderen, dem Fremden zu als sich selbst und sucht dafür Anhaltspunkte. Deshalb werden auch kriminelle Handlungen oder Regelbrüche Einzelner gern als typisch für die Gruppe als Ganzes angesehen. So nährt zum Beispiel ein unverantwortlicher Umgang mit der Pandemie wegen des aktuellen Corona-Ausbruchs in Hamm durch eine türkische Hochzeit eben solche Vorurteile. Es wirkt sich natürlich sehr negativ auf das Ansehen einer ethnischen Gruppe aus.

Was ich erlebt habe, spiegelt wider, welches „Türken“-Bild noch immer in den Köpfen mancher Deutscher herumschwirrt. Denn Fragen wie die „Hausmeister-Frage“ kommen direkt aus dem Unterbewusstsein.

Die Denkweise „Wir und die Anderen“ halte ich für völlig unangebracht. Sie polarisiert, und das widerspricht einem humanen Umgang mit Mitmenschen. Solange wir die Menschen in ihrem Sosein nicht akzeptieren und nicht menschlich und freundlich miteinander umgehen, wird es auch keine gute Atmosphäre oder eine Art Akklimatisierung geben, geschweige denn ein gelungenes Miteinander. Denn die Einteilung „Wir und die Anderen“ suggeriert schon eine Art Entfremdung und Diskriminierung, auf die wir lieber verzichten sollten.

Es spielt keine Rolle, ob jemand Lehrer, Hausmeister oder Bergmann ist. Es würde aber wohl jeden stören, schon bei der ersten Begegnung vorurteilsbeladen einer Berufsgruppe zugeordnet zu werden. Es handelt sich um eine verschleierte Beurteilung, wenn die Frage „Sind Sie Hausmeister?“ gestellt wird. Und derjenige, der beurteilt, bringt seine gefühlte Überlegenheit zum Ausdruck. Diese „sanfte“ Ausgrenzung kann schmerzhafter sein als offene Diskriminierung und Pöbelei. Denn die primitive Haltung der Zivilisierten schmerzt mehr als die primitive Haltung der Ungebildeten.

Glauben Sie mir, solche Erfahrungen machen ausnahmslos alle Türken bzw. Muslime, die hierzulande leben. Deshalb möchte ich an alle appellieren, Zugewanderte so zu behandeln wie alle anderen auch und ihnen offen zu begegnen – ohne vorgefasste Zuschreibungen und Vermutungen, ohne sich zu den Sprachkenntnissen zu äußern und ohne ungefragte Ratschläge oder Belehrungen.

Muhammet Mertek