Nir Baram, Im Land der Verzweiflung. Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete
München: Garl Hanser Verlag, 2016
Mit „Im Land der Verzweiflung“ legt der 1977 in Jerusalem geborene Journalist und Schriftsteller Nir Baram einen Reisebericht entlang der israelisch-palästinensischen Grenze vor und zugleich eine Dokumentation über seinvöllig zerrissenesHeimatland. Man ist von Anfang an mitten drin in den sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der jüdischen Siedler und der Palästinenser entlang der Green Line. Nir Baram besucht 2014 und 2015 die israelischen Siedlerund die Palästinenser in den Brennpunkten der besetzten Gebieten als jemand, der zuhören und verstehen will, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Dabei lässt er kaum einen Erfahrungszusammenhang aus, denn alle sind wahr: Gespräche mit einem palästinensischen Anwalt, der um seine begrenzten Handlungsmöglichkeiten weiß; mit jüdischen Siedlern, die von der Idee beseelt sind, dass nur sie ein Recht auf das Land haben; mit Friedensaktivisten, die gegen alle Enttäuschungen und Risiken an ihrer Überzeugung festhalten, dass Israelis und Palästinenser gemeinsam in diesem Land leben können; mit verzweifelten palästinensischen Bauern, die keinen Zugang mehr zu ihrem Land haben, um es zu bebauen. Aber obwohl die Zerrissenheit dieses Landes der zentrale Ausgangspunkt des Buches ist, geht es zugleich um die tiefe Verbundenheit der beiden Lager miteinander. Beide leiden an der gegenwärtigen Perspektivlosigkeit und sind doch von der Sehnsucht nach einer Lösung des Konfliktes erfüllt. Manche seiner GesprächspartnerInnen träumen davon, dass Palästinenser und Israelis gemeinsam und mit gleichen Rechten in diesem Land leben. Und man spürt beim Lesen, dass Nir Baram mit seinem Buch diese Pflänzchen der Hoffnung sichtbar machen möchte und würdigen will. Aber er gibt sich auch keiner Illusion im Blick auf die Verwirklichung dieserHoffnung hin. Wenn er die verhärteten Standpunkte auf beiden Seiten darstellt, dann sagt er schlicht und einfach: Im Moment gibt es auf keiner Seite Anzeichen dafür, diesen Konflikt friedlichzu lösen.Doch bricht für ihn damit keineWelt zusammen, sondern er bleibt dran.Hier könnten die Lesenden so weit sein, das Buch in die Ecke zu werfen. Aber das wäre ein Fehler. Denn Nir Baram ist sowohl als Gesprächspartner wie auch als Literat hartnäckig. Er setzt auf das Vergehen der Zeit, er gibt diesem Konflikt damit nur eine begrenzte Zeit, um nicht in Hoffnungslosigkeit zurückzubleiben. Damit macht er klar, wie sowohl Palästinenser und wie auch Israelis –aber auch wir alle –es vor allem gnadenlos mit diesem Konflikt aushalten müssen. Die tiefen Verletzungen auf beiden Seiten ebenso wie die alltäglichen Demütigungen, die zur Sprache kommen, sie alle wirken umso intensiver, je länger sie dauern. Damit schaltet dieses Buch noch einen weiteren Gang hoch. Die Menschen „im Land der Verzweiflung“ trudeln halb zufällig, halb gewollt immer weiter in eine tiefe Aussichtslosigkeit hinein. Am Ende bleibt die Gewissheit, dass das Ende der Verzweiflung nur in einer Versöhnung bestehen kann, die Menschen nicht machen können.
Sigrid Reihs