„Wenn Hunger zum Freund wird“

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Wir haben nun wieder Ramadan, wo viele Muslime fasten. Einen ganzen Monat lang bedeutet dies, kein Essen und Trinken von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang zu sich zu nehmen. Ich glaube, wir werden dabei immer wieder von Nichtmuslimen hören, wie schade es sei, dass man sogar gar kein Tropfen Wasser schlucken dürfe.

Trotz allem überleben alle Muslime seit Jahrhunderten den Fastenmonat Ramadan, nur die armen Kinder und Menschen in Afrika durch Zwangsfasten nicht. Daher ist klar, wenn das Fasten freiwillig und als ein reflektiertes Gebet vollzogen wird, stellt sich unser Körper entsprechend darauf ein, was gesundheitlich kein Problem ist.

Die Zeitschrift GEO hatte im März 2016 ihr Titelblatt dem Fasten gewidmet. Dort wurde aus wissenschaftlicher Sicht dargelegt und festgestellt, dass Fasten viel mehr ist als nicht essen. „Es ist universeller Bestandteil der menschlichen Natur und Kultur. Weltweit dringen Forscher vor zu den geheimnisvollen Wirkungsweisen des freiwilligen Nahrungsverzichts – und finden erstaunliche Heileffekte. Ein normalgewichtiger Mensch (170 cm/70 kg) hat theoretisch Reserven für 40 Tage ohne Nahrungszufuhr. Bei Übergewichtigen (z.B. 170 cm/90 kg) reichen 100 Tage.“

Das Fasten ist ein reiner Reinigungsakt für Seele und Körper. „Wenn der Körper sich von innen ernährt, dann reinigt er sich. (…) Die Liste unbestrittener Gesundheitswirkungen von Fastenkuren wird ständig länger: Cholesterin- und Harnsäurewerte verbessert, Immunsystem entlastet – und die Stimmung aufgehellt. Bei Schmerzpatienten konnten Berliner Forscher die Wirkung des „Fasten-High“ belegen: In ihren Körpern kreisen erhöhte Konzentrationen von „Glückshormonen“ wie Serotonin und Opioiden – was die „spirituellen Erfahrungen“ erklären mag, von denen manch Hungernder berichtet. Derzeit wird untersucht, ob Nahrungsentzug auch gegen Depressionen eingesetzt werden kann. Positive Ergebnisse sehen die klinischen Mediziner auch bei multipler Sklerose, Asthma, Neurodermitis, Allergien, Magen-Darm-Erkrankungen oder Diabetes Typ 2. Im ruhiggestellten Darm erhöht sich die Vielfalt der Mikrobenarten in der Darmflora – wichtig für das Immunsystem.“

Das ist noch nicht alles. Die Forscher decken noch mehr Vorteile des bewussten Fastens auf, die ich u.a. hier zusammenfassend auflisten möchte:

  • Schon nach einem Fastentag sind die Glykogenreserven der Leber verbraucht. Der Körper beginnt, Fett zu verbrennen, und macht daraus heilsame „Treibstoffe“: Ketone. Da Fettmoleküle die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen können, werden sie beim Fasten zu energiereichen Ketonen umgewandelt. Diese gelten als Jungbrunnen für das Hirn und energiereicher Herrscher des hungernden Leibes.
  • Diese Hauptakteure des biochemischen Notfallprogramms sind Supertreibstoffe – auch für das Denkorgan. Sie schützen Nervenzellen und steigern die Produktion von „neurotrophen Faktoren“, die für Lernen und Erinnern entscheidend sind. Beim Fasten verbessert sich die Gedächtnisleistung. Das Fasten fördert also die Gedächtnisleistung beim Lernen.
  • Beim Fasten werden der Leber weniger Stoffe zugeführt. Das größte Entgiftungsorgan kann sich erholen – vor allem die Fettleber.
  • Fasten steigert die Durchblutung und den Stoffwechsel des Fettgewebes. Vor allem geschieht dies unter der Haut und am Bauch, wo sich sich zuerst ihre Schleusen öffnen.
  • Nahrungsentzug senkt den Cholesterinspiegel und den Blutdruck. Nach dem Fasten kommt es meist wieder zu einem leichten Anstieg, der aber nicht die Ausgangswerte vor dem Fastenbeginn erreicht.
  • Fasten beugt Demenz vor: Es fördert die Neurogenese, also die Neubildung von Hirnzellen.
  • Zudem kann der Nahrungsverzicht stimmungsaufhellend wirken: Depressionen wirken lt. Forschungsstatistiken um rund Zweidrittel weniger und Ärger um ca. Dreiviertel weniger nach dem Fasten.

GEO betont dabei auch den höheren Stellenwert des Fastens im Verlaufe der Geschichte:

„Alles hat eine Tür, und die Tür zur Gottesanbetung ist das Fasten.“ (Hadith) (…) Sokrates hungerte für geistige Effizienz, und Paracelsus sprach prophetisch von einem „inneren Arzt“, der beim Fasten aktiv würde. Moses, Jesus, Muhammad, Buddha entsagten wochenlang dem Essen, um Gott oder sich selbst näher zu sein. Wohl alle Religionen, wie auch die traditionellen Medizinformen und Kulturen nutzen das archaische Konzept des periodischen Hungers als Reinigungstherapie.“

Die Menschen von heute brauchen so eine Reinigungstherapie mehr denn je und in jeder Hinsicht. Für Muslime bietet der Fastenmonat Ramadan dafür eine gute Möglichkeit, wenn sie mit dem Fasten reflektiert und seinem Sinn entsprechend umgehen können.

Muhammet Mertek