Bericht INTR°A – Jahrestagung 2023 in Köln: Worauf können wir hoffen? – Interreligiöse Perspektiven angesichts apokalyptischer Befürchtungen und Ängste

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Angesichts aktueller Krisenszenarien wie dem Klimawandel und seinen zerstörerischen Folgen, Corona, einem erneuten Krieg in Europa haben Unsicherheiten und Ängste hinsichtlich der Zukunft zugenommen. Diese Situation wird zum Teil – insbesondere in bestimmten religiösen Zirkeln – als möglicher Beginn der Endzeit gedeutet, wozu dann u.a. Bilder aus der Offenbarung des Johannes herangezogen werden. Dementsprechend bezeichnen sich einzelne Aktivisten als „Last Generation“ und greifen angesichts dieser Dramatisierung zu extremeren Methoden, die sie als notwendige Maßnahmen und vorletzte Mittel angesichts des drohenden Endes rechtfertigen.

Wie stellt sich das gegenwärtige Spektrum von Zukunftserwartungen in Deutschland dar? Welche Szenarien werden entwickelt und welche Rolle spielen dabei apokalyptische Bilder, u.a. aus der Offenbarung des Johannes in der Bibel? Und welche Hoffnungsperspektiven werden in verschiedenen religiösen Traditionen entwickelt – wobei es sowohl um das geht, worauf jeder einzelne für sich als auch die Welt insgesamt hoffen darf? Diese und damit zusammenhängende Fragen standen im Mittelpunkt der diesjährigen INTR°A-Jahrestagung, die wir wieder in Kooperation mit der Melanchthon-Akademie in Köln durchgeführt haben.
Das ausführliche Programm finden Sie/findet ihr hier.

In seinem einführenden Referat führte der renommierte Experte Prof. Dr. Alexander Kenneth-Nagel (Universität Göttingen) den Teilnehmer:innen eindrücklich aktuelle apokalyptisch-endzeitlich geprägte Erwartungslagen eher säkular geprägter Gruppierungen in Deutschland vor Augen. Dabei ging er u.a. auf die Bewegungen “Last Generation” und “Extinction Rebellion” sowie die sogenannten “Preppers” ein. Im Einzelnen arbeitete er bestimmte Strukturmerkmale und Logiken moderner, nicht spezifisch religiös geprägter Apokalypsen heraus, die sich einerseits ähneln, aber konkret sehr unterschiedlich ausfallen und dementsprechend auch unterschiedlich zu bewerten sind. Ein kurzer Abriß der wesentlichen Inhalte des Vortrags von Prof. Nagel findet sich in diesem, an anderer Stelle veröffentlichten Beitrag von Nagel: hier.
Kontrovers diskutiert wurde die These von Nagel, dass apokalyptisches Denken im Binnenraum der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften gegenwärtig eher wenig Konjunktur hat, d.h. oft als sperrig und befremdlich empfunden wird. Dabei wurde u.a. auf die erstarkenden evangelikalen und pfingstlerischen Zweige des Christentums, in denen endzeitliche Szenarien eine große Rolle spielen, verwiesen.

Im Anschluss an den Vortrag von Nagel brachten einzelne Vertreter Perspektiven und Positionen verschiedener religiöser Traditionen zum Thema Zukunftshoffnung und Endzeiterwartung ein:

Den Anfang machte Abdülkerim Senel (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für islamische Theologie und der Forschungstelle Islam & Politik der Universität Münster).
Senel gab zunächst einen kurzen Überblick über apokalyptische Grundbegriffe in Sunna und Koran und stellte die traditionelle islamische Lehre zu Etappen des Untergangs vor. Im zweiten Teil seines Vortrags skizzierte Senel sodann, welche Hoffnungen sich in der islamischen Tradition mit der Endzeit verbinden (insbesondere das Kommen des Mahdi, des Rechtgeleiteten bzw. des Retters, womit die Verwirklichung von universeller Gerechtigkeit und Herrschaft Gottes und seiner Diener einhergehe). Im dritten Teil entfaltete der Referent schließlich im Anschluß an den Philosophen Karl Popper eine spannende Kritik des verbreiteten “theistischen Historismus” in der islamischen Tradition, der letztlich autoritär und von allzu großer Gewissheit hinsichtlich der Zukunft bestimmt sei. Insbesondere dieser letzte Teil des Vortrags fand große Resonanz auf der Tagung. Zentrale Stichworte und Zitate des Vortrags von A. Senel s. in der PPT zu seinem Vortrag: hier.

Im Anschluss an Senel brachte der ebenfalls in Münster tätige Dr. Mathias Schneider, der dort am Zentrum für Religion und Moderne der Universität wirkt, eine christliche Perspektive ein, in der er von der zentralen Frage ausging: Wie gehe ich als Christ mit gegenwärtigen Endzeiterwartungen um? Zu Beginn seines Vortrags unterschied Schneider in kräftiger, beeindruckender Bildsprache zwei Grundmotive radikalen christlichen Endzeitdenkens: einmal ein ausgeprägt apokalyptisches Denken, für das er das Bild des Hahnes, der das nahende Ende beschreit, einführte. Und zum anderen ein Denken, das zwar auch mit der bestehenden Welt unzufrieden sei oder letztlich ein “tausendjähriges Friedensreich” erwarte, dies aber eher auf die lange Bank schiebe bzw. teilweise sogar vorerst aggressiv am Bestehenden festhalte. Diejenigen, die diese Haltung repräsentieren, kennzeichnete Schneider mit dem ebenso prägnanten Bild einer Eule. Nachdem der Referent noch einige Untertypen dieser Grundorientierungen unterschieden hatte, ging er vor allem der Frage nach, was “Eulen” von “Hähnen” und andersherum “Hähne” von “Eulen” lernen können, womit er die spannende Frage möglicher intrareligiöser Lernprozesse ins Spiel brachte. Damit kam er auf seine Ausgangsfrage zurück und beantwortete sie schließlich eher kritisch im Blick auf ausgeprägte apokalyptische Vorstellungen und Erwartungen: In ihnen sei oftmals eine auf den eigenen “Stamm” konzentrierte Enge vorherrschend, in der nur die eigene Gruppe der “Guten” gerettet werde, während der große, “böse” Rest verloren gehe (s. zum Beispiel in der Offenbarung des Johannes). Dies stehe in Spannung zu universalistischen Aussagen in der christlichen Tradition bzw. im christlichen Gottesverständnis. Diese eher kritische Spitze gegen apokalyptisches Denken sorgte für Gesprächsstoff auf der Tagung. Demgegenüber wurde noch einmal auf bleibende, wichtige Aspekte apokalyptischen Denkens hingewiesen, die der Referent schon selbst in der Herausstellung von Lernchancen durch die “Hähne” angesprochen hatte. Zum Beispiel die deutliche Botschaft, dass alles menschliche Handeln begrenzt, d.h. endlich sei und insofern die letzten Dinge nicht von uns selbst herbeigeführt werden könnten.

Eine dritte, buddhistische Perspektive wurde von dem an Paris Londron Universität in Salzburg lehrenden Religionswissenschaftler Prof. Dr. Martin Rötting vertreten. Rötting gab zunächst einen Überblick über generelle Endzeiterwartungen im Buddhismus, in denen vor allem das Motiv der ständigen Wiedergeburt – also ohne einen festen zeitlichen Endpunkt – im Zentrum steht. In seinen weiteren Ausführungen konzentrierte sich der Buddhismusexperte dann insbesondere auf Zukunftserwartungen im Buddhismus in Süd-Korea, in denen die Hoffnung auf das Kommen des Maitreya-Buddha eine zentrale Rolle spielt. Zum detaillierten Inhalt des Vortrags von Rötting s. die Präsentation, die er mitgebracht hatte: hier. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen der christlichen und islamischen Tradition auf der einen Seite und der buddhistischen Tradition auf der anderen Seite gefragt. Dabei wurde deutlich, dass es neben den Unterschieden (Betonung einer präsentischen Eschatologie im Buddhismus), ebenso zahlreiche gemeinsame Züge und Motive gibt, die sich u.a. auch auf die Erwartung einer endzeitlichen vollkommenen Erleuchtung bzw. einer Beendigung aller Unterdrückung und Ungerechtigkeit beziehen.

Insgesamt gab die Tagung einen guten Einblick in die gegenwärtige Szenerie apokalyptischen Denkens und brachte diese auf spannende Weise ins Gespräch mit Perspektiven und Positionen von drei verschiedenen religiösen Traditionen. Treffend abgerundet wurde die Tagung durch die Ermutigung, das Thema Apokalyptik auch in der Religionspädagogik stärker zur Geltung zu bringen. Die Rückmeldungen der Teilnehmer:innen waren dementsprechend durchgehend sehr positiv. Wir werden das Thema weiter verfolgen.

Im Anschluss an die Behandlung des Tagungsthemas fand zum Abschluss wie immer die Verleihung des mit 5000 Euro dotierten INTR°A- Projektpreises statt, diesmal an das wegweisende Projekt des “Hauses der Kulturen und Religionen München” (HDKRM). Weitere Details dazu, u.a. die Laudatio und die ausführliche Vorstellung des Projektes, s. hier.

Für Mitglieder fand danach – auch wie gewohnt – noch die Mitgliederversammlung von INTR°A statt.